Eine sehr lesenswerte und informative Würdigung verfasste die Stuttgarter Bildungsreferentin Catharina Bihr für die Zeitschrift »Faszination Bibel« (Heft 2/2022, SCM Bundes-Verlag, Witten).
Wir danken der Autorin und dem Bundes-Verlag für die freundliche Genehmigung der Verwendung des Beitrags an dieser Stelle.
In den 1960er Jahren verfasste der Theologe Jörg Zink eine Bibelübersetzung in verständlicher, erzählender Sprache. Auf der Spur einer Bibel für »Fußgänger«.
Am 22. November 2022 wäre Jörg Zink 100 Jahre alt geworden. Er war einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig Friedensaktivist, Medienschaffender, Bibelübersetzer und Fernsehsprecher beim »Wort zum Sonntag«. Wir werden an diesem Tag an einen Mann denken, der Worte fand, wenn anderen die Worte fehlten. Der einen für seine Zeit ungewöhnlichen Zugang zu Gott – den mystischen – lebte und verbreitete. Der unzählige Bücher geschrieben und fast noch mehr Filme gedreht hat. Und der bis zu seinem Lebensende im September 2016 seine Stimme erhoben hat gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, gegen Umweltzerstörung, Friedensbruch und Irrlehren der Kirchen.
Bei alldem blieb Jörg Zink stets »am Boden«. Nach seinem Lieblingstier gefragt, soll er einmal »Wildschwein« geantwortet haben. »Ich stelle mir einen Pfarrer so vor, dass er nicht irgendwo herumfliegt, sondern am Boden wie ein Wildschwein durch das Unterholz trabt, dort, wo die Menschen sind.« »Fußgänger« – so bezeichnete er sein Zielpublikum. Und für eben diese Fußgänger ist seine »Bibel. Neu in Sprache gefasst« gedacht.
Die Wurzeln zu Jörg Zinks Bibelübersetzung liegen in den frühen Gotteserfahrungen eines kleinen Waisenkinds: Der jüngste von drei Brüdern wird getauft auf den Namen Georg, wird seit jeher jedoch Jörg genannt. Seine Kindheit bei Ulm, wo er zusammen mit seinen beiden leiblichen Brüdern und einem Stiefbruder bei seiner Stiefmutter in einem winzigen Reihenhaus aufwächst, ist geprägt von Armut und einer überforderten, doch gleichzeitig starken Mutterfigur.
Richtig wohl fühlt er sich nur in der Natur, auf der Schwäbischen Alb, wo er manchmal ganze Wochen mitten in der Wildnis verbringt, teils allein, teils mit seinem Stiefbruder. Sie übernachten in Höhlen, braten sich Kartoffeln am Feuer, leben in inniger Verbundenheit mit Pflanzen und Tieren und – träumen. Diese intensiven Naturerfahrungen prägen sein ganzes Leben, prägen insbesondere seinen Glauben. Es sind vielleicht weniger die Naturerfahrungen selbst, die sein Gottesbild bestimmen, sondern die Erkenntnisse, die er beim Betrachten der Natur gewinnt.
So blickt er einmal selbstvergessen von einem Felsen aus über bewaldete Hänge hinweg ins Licht der Sonne, die durch das Laub scheint, und es wird ihm klar: »Alles ist nur Vordergrund! Dahinter ist alles Licht! Unsere ganze sichtbare Welt tut nur so, als sei sie da! In Wirklichkeit fängt, was wichtig ist, erst dahinter an.« So berichtet er es viel später, 2007, als bereits alternder Mann, in seinem Buch »Ufergedanken«.
Es sind diese natürlichen, manchmal mystischen Gotteserfahrungen, die seinen Glauben auch als Erwachsener ausmachen, auch wenn er darüber viele Jahre schweigt und die Mystik erst in seinen späten Veröffentlichungen wieder durch seine Texte leuchtet. Doch sein tiefer Wunsch, Gott auf neue Art erfahrbar zu machen – für alle erfahrbar –, ist es vielleicht, der ihn in den 60er Jahren dazu führt, seine eigene Bibelübersetzung zu wagen.
Schon bald nach seinem Theologiestudium in Tübingen, 1957, fällt Jörg Zink die religiöse Sprachlosigkeit der Menschen auf. Er arbeitet zu dieser Zeit als Direktor des Burckardthauses in Gelnhausen, der Zentrale der evangelischen Mädchenarbeit in Deutschland.
Durch seine Arbeit dort begegnet er in den frühen 1960ern jungen Frauen in Berlin. In dieser Stadt hält Zink sich oft auf, ist doch das Burckhardthaus auch in die Arbeit mit christlichen Mädchen und Frauen in der DDR involviert. Vor dem Mauerbau im Jahr 1961 ist ein Austausch mit Ost-Berlin noch möglich. Im Gespräch mit den jungen Frauen merkt er, dass die meisten von der Bibel überhaupt keine Ahnung haben. Er macht daraus ein Spiel: Jede Woche verschickt er kurze Abschnitte aus der Bibel an junge Arbeiterinnen in Berlin-Wedding, die ihm antworten, welche Resonanz der Text in ihnen auslöst und was sie anregt. Zinks ernüchterndes Fazit: Die meisten Antworten gehen seiner Meinung nach an der Botschaft des jeweiligen Abschnitts vorbei.
Diese Erkenntnis ist der Auslöser für Zink, biblische Texte in eine verständlichere Sprache zu übertragen. Er beginnt mit dem Neuen Testament und übersetzt anschließend Teile des Alten. Sein Ziel ist es, eine Bibelübersetzung zu schreiben, die nah an den Menschen und für alle verständlich ist.
In Kirchenkreisen ernten seine Übersetzungen zunächst viel Kritik. Die Lutherbibel sei unübertroffen, was brauche man da eine neue Übersetzung? Außerdem dürfe man nicht derart frei mit biblischen Texten umgehen. Jörg Zink lässt sich davon nicht beirren und geht den eingeschlagenen Weg mutig weiter und fügt vielen bekannten christlichen Texten aufweitende Deutungen hinzu. So zum Beispiel dem Aaronitischen Segen, der am Ende eines jeden Gottesdienstes gesprochen wird (4. Mose 6,24–26). Aus »Der Herr segne dich und behüte dich. Er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig ...« wird:
»Unser Gott, der Mächtige, Ursprung und Vollender aller Dinge, von dem du herkommst und auf den du zugehst, segne dich, gebe dir Gedeihen und Wachstum, Gelingen deinen Hoffnungen, Frucht deiner Mühe, und behüte dich vor allen dunklen Gedanken, sei dir Schutz in Gefahr und Zuflucht in deiner Angst. Unser Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir, wie die Sonne über der Erde Wärme gibt allem Erstarrten und Licht allem, was lebt, und sei dir gnädig, wenn Schuld dich quält. Er löse dich von allem Bösen und mache dich frei. ...« Es überrascht nicht, dass Zink beim »Leuchten« an eine Naturerfahrung denkt – die Sonne – statt an die leuchtenden Augen, wenn sich zwei Menschen begegnen und einander liebevoll anblicken.
1965 erscheint zunächst das Neue Testament beim Kreuz-Verlag, ein Jahr darauf eine Auswahl aus dem Alten Testament. Mittlerweile sind beide Teile zusammen als »Die Bibel. Neu in Sprache gefasst« erhältlich. Die Deutsche Bibelgesellschaft weist auf ihrer Webseite darauf hin, dass die Sprache im Neuen Testament 1965 »oft etwas wortreich« war, seit 1988 aber eine »eindringlich-knappe Wiedergabe von meditativer Qualität« aufweist und auf Ausdeutungen verzichtet. Die Gesamtbeurteilung lautet: »Eine persönlich geprägte und persönlich verantwortete (gelegentlich immer noch eigenwillige) Übersetzung, die in der Endfassung eine beachtliche sprachliche und geistliche Qualität erreicht hat.« Trotz der anfänglichen Kritik kommen seine Übersetzungen vielerorts zum Einsatz.
Auf seine Bibelübertragung folgen zahllose weitere Schriften rund um die Bibel zur Arbeit in der Gemeinde oder der eigenen Familie: Bücher übers Beten, über das Abendmahl, »Quellen einfachen Lebens« und viele mehr.
Wer über Jörg Zinks Bibelübertragung schreibt, darf die ungezählten Bilder und Filme aus Israel und anderen Ländern, in denen die biblischen Geschichten ihren Ursprung haben, nicht unerwähnt lassen. Erfahrbar machen – das steht auch in Zinks Arbeit als Filmemacher im Mittelpunkt.
Insgesamt etwa 30 Mal reist er mit einem kleinen Team nach Israel, Ägypten, Griechenland, Syrien, in die Türkei und zu anderen Schauplätzen der Bibel und bringt anschließend tonnenweise Film- und Fotomaterial nach Hause. Er filmt selbst unter den widrigsten Bedingungen: in der Wüste bei 53 Grad, wo seine Frau Heidi einen Regenschirm über die Kamera halten muss, damit der Film nicht schmilzt. Und auch unter gefährlichen Bedingungen, als UN-Soldaten ihn festnehmen, weil er Blauhelme auf dem Sinai fotografiert hat. Oder wenn an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei auf ihn geschossen wird, weil Zink die Kamera auf den Stacheldraht im Grenzgebiet gehalten hatte.
Das Ergebnis sind geschätzt 100.000 Fotos und Filmaufnahmen, die den Weg zur Bibel aufschließen sollen und die Lebenswelt Jesu näherbringen. Einige Fotos versammelt Zink im großen »Bildwerk zur Bibel«, seine Filme laufen im Fernsehen und werden für die Gemeindearbeit eingesetzt.
Jörg Zink bleibt es zeitlebens ein Anliegen, dass die Bibel die Basis des Glaubens und der Kirche bildet. Besonders deutlich zeigt sich dies darin, dass Zink über viele Jahre hinweg Bibelarbeiten auf dem Evangelischen Kirchentag hält. Von 1973 bis 2011 denkt er an jedem Veranstaltungstag morgens vor dem thematischen Programm für eineinhalb Stunden über einen biblischen Text nach. Jeden Kirchentagsmorgen findet er aufs Neue Tausende Zuhörerinnen und Zuhörer.
Jörg Zink ist zu dem Zeitpunkt bereits recht bekannt: Seit Anfang der 1960er Jahre ist er beim »Wort zum Sonntag«, einer Sendereihe der ARD, immer wieder im Fernsehen zu sehen. Auf dem Kirchentag ist er mit Begeisterung dabei, zumal die Idee des Kirchentags seinem Wunsch nach einer neuen Kirche entspricht. Er geht sogar so weit zu sagen: »Der Kirchentag ist das Beste, was die Kirche den Menschen heute zu bieten hat.«
Worin besteht die Idee des Kirchentags? Sie geht auf Reinold von Thadden zurück, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit Schrecken feststellte, dass in der evangelischen Kirche strukturell alles beim Alten bleiben sollte. Dabei täte nach dem Versagen der Christen im Dritten Reich ein Neuanfang Not! 1949 wird der erste Kirchentag in Hannover abgehalten, damals noch unter dem Namen »Evangelische Woche«. Ab 1952, als der Kirchentag erstmals in Stuttgart stattfand, war auch Jörg Zink mit von der Partie.
Der Kirchentag entwickelte sich schon bald zu einem Forum, in dem sich politisch denkende Menschen außerhalb ihrer Parteien trafen und Neues erst einmal ausprobiert werden konnte, ehe es Realpolitik wurde. Hier fand eine sehr fruchtbare Verzahnung von Politik und Glaube statt.
Jörg Zink tritt selbst immer wieder politisch in Erscheinung, so 1977 bei einem Kommentar im »Wort zum Sonntag« zur Entführung der Lufthansa-Maschine »Landshut« durch die zweite Generation der RAF. Außerhalb des Studios sieht man ihn 1983 als Demonstrant in der Menschenkette zwischen Ulm und Stuttgart – ein (erfolgloser) Protest gegen die Stationierung neuer atomarer Waffen in Deutschland.
Bei alldem bleibt: Die Bibel ist das Zentrum. Über seine »Bibelarbeit« auf dem Kirchentag sagt Jörg Zink daher: »Ich wollte, dass der Kirchentag sich dort am deutlichsten ausspricht, wo es um die Bibel geht. Dass er diese Basis nie verliert. Denn das ist die Gefahr von jeder Art von Laienbewegung, dass die Bibel dabei weniger wichtig wird. Weil sie zu schwierig wird.« Zu verhindern, dass die Bibel »zu schwierig« wird, könnte man rückblickend vielleicht als Jörg Zinks Lebenswerk bezeichnen.
Die Autorin Catharina Bihr ist Bildungsreferentin und arbeitet mit FSJlern. Sie wohnt in Stuttgart und engagiert sich dort im CVJM.
Die Zitate von Zink sind entnommen aus Matthias Morgenroth: Jörg Zink. Eine Biographie, Gütersloher Verlagshaus, 2013.
Der Artikel ist erschienen in der Zeitschrift Faszination Bibel, Heft 2/2022 (SCM Bundes-Verlag, Witten)