Matthias Morgenroth ist auch Autor einer Biographie über Jörg Zink
Ein Nachruf auf Jörg Zink von Matthias Morgenroth
Manuskript eines Beitrags im Bayerischen Rundfunk
am Sonntag, 18. September 2016, 8:30–9:00 Uhr
Redaktion: Friederike Weede, Matthias Morgenroth
MUSIK
Sprecher 1
Wildschwein, sagt er. Das sei sein Lieblingstier. Kein Schäfchen oder Esel, wie man bei einem bibelfesten Pfarrer vielleicht vermuten könnte. Wildschwein, sagt Jörg Zink.
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Das Wildschwein hat die Eigenart, durch das Unterholz zu streifen und dort sein Futter zu suchen. So, stelle ich mir vor, gehe ich durch das Unterholz der Kirche, mit der Nase am Boden und finde dort die Menschen, zu denen ich gesandt bin.
Sprecher 1
Wir sitzen in Jörg Zinks Arbeitszimmer in Möhringen bei Stuttgart, es liegt unten, im Souterrain, geerdet. Mehrere Schreibtische. Für die aktuelle Arbeit und für die Arbeit, die auch mal liegen bleiben kann. Sein persönliches Unterholz. Wie gemacht für einen, der Wildschweine mag.
Sprecher 2
Jörg Zink hat auf seine Weise und mit den unterschiedlichen Medien, die er sich zu eigen gemacht hat, unzählige Menschen geprägt, und er hat damit auch ein Stück protestantische Kirchen- und Theologiegeschichte geschrieben. Nicht als Lehrstuhlinhaber. Nicht als Bischof in Amt und Würden. Sondern als einer, der sich in aller Freiheit über Gott und die Welt Gedanken macht, in der Freiheit, die viele in den Amtskirchen vermissen. Als einer, der selbst ein Suchender geblieben ist. Der weiß, dass es auch gar nicht anders sein kann.
Sprecher 1
Und die Wildgans, sagt er, noch ein Lieblingstier. Beide zusammengenommen sind wunderbare Bilder für zwei sich inspirierende Seiten dieses außergewöhnlichen Mannes. Das Wildschwein, so könnte man sagen, steht für eine erdverbundene Arbeit, im mehrfachen Sinn: Für ein radikales Eintreten für unsere Erde; für eine Ethik, die nichts vorgibt außer dies: vom hohen Ross herabzusteigen, um unten, am Boden, zum Mit-Menschen zu werden; für die Kraft von unten, aus dem Unterholz, die notwendig ist, um die Welt zu verändern. Und die Wildgans zeigt den weiten Freiheitsraum seines Denkens: den Raum der religiösen Erfahrungen; die Grenzüberschreitung in jede Richtung, die er gewagt hat und durch die er für manche – auch für manche Theologen – zum Ärgernis geworden ist. Wie soll man ein langes Leben fassen? Mehrmals habe ich ihn nach dem roten Faden gefragt, dem roten Faden durch sein reiches Leben. Eine Antwort lautet so:
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Ein roter Faden durch mein Leben – es ist schwierig, es in einfachen Worten zu sagen, und zwar deshalb, weil der rote Faden aus vielerlei Dingen zusammengezwirnt ist. Zunächst ein persönlicher roter Faden, dass ich mir von meiner Kindheit an, dann auch über Krieg und Gefangenschaft usw., vorgenommen habe: Du gehst deinen eigenen Weg! Den lässt du dir von niemandem vorschreiben!
Sprecher 2
Jörg Zinks Kanzeln waren die Kirchentage, war das Fernsehen, waren Filme, die er gemacht hat, war das »Wort zum Sonntag«, das ihn für Jahrzehnte zu Deutschlands bekanntestem Seelsorger gemacht hat, waren die Bücher, in denen er immer wieder, aber immer wieder neu Themen umkreist hat, mit denen sich spirituell Suchende, selbstdenkende Christen auseinandersetzen: Wie können wir beten, wenn wir es eigentlich nicht (mehr) können? Wie können wir feiern, wenn wir die Gottesdienste nicht mehr als frohe Feste erleben? Wie können wir die Bibel lesen, wenn uns die Texte abgestumpft erscheinen? Wie Erfahrungen mit Gott machen? Wie Ökumene leben? Lieben? Trauern? Wie andere Religionen als Partner verstehen? Rund 200 Bücher sind entstanden, geschrieben in den frühen Morgenstunden, zwischen vier und acht, vor dem Frühstück, in der Ruhe des Morgens, bevor die vier Kinder aufwachten und Heidi, seine Frau. Die Bücher haben sich millionenfach verkauft. Die Bibel hat Jörg Zink neu übertragen, um die Botschaft Jesu jenseits der kirchlich eingebürgerten Sprache wieder lebendig werden zu lassen – Mitte der 1960er Jahre wurde ein solches Unterfangen harsch angefeindet als Sakrileg an Luthers prägender Sprache. Über zwanzig Reisen hat er in den Nahen Osten unternommen, Filme und Bildserien daraus gestaltet. Gebete für Kinder und Familien hat er geschaffen, damit Beten nicht Nachplappern leerer Formeln ist.
Sprecher 1
Für viele war es dabei wichtig, dass er als Person glaubwürdig war und für sich Konsequenzen aus seinem Denken zog. Er war einer der wichtigen christlichen Sprecher der Friedensbewegung, als man ziemlich real und sehr bedrohlich in militärischen Planspielen Europa zum Schauplatz eines Atomkriegs machte. Er war einer der Ersten, die den Ruf »Schöpfung bewahren!« als unbedingte, religiöse Forderung formulierte, soll der Planet Erde überlebensfähig bleiben.
MUSIK
Sprecher 2
Manche Wege gehen nicht zu Ende, jedenfalls nicht auf dieser Erde – so schreibt Jörg Zink über seine Eltern. Seine Mutter stirbt, als er zwei Jahre, sein Vater, als er drei Jahre alt ist. Jörg Zink kommt am 22. November 1922 auf die Welt. Er wird in eine Utopie hineingeboren. In einen Traum von einer besseren Welt, den seine Eltern zu leben versuchen und an dem sie scheitern. Sein Geburtshaus ist der »Habertshof«, ein Bauernhaus ohne Strom und ohne Wasseranschluss im hessischen Bergland bei Schlüchtern, zwischen Spessart und Rhön. Seine Eltern hatten dort 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, Land und Haus gekauft und eine Lebensgemeinschaft auf christlicher Basis gegründet, wie manche andere in diesen Jahren auch: Einen Bruderhof, ein freiheitliches Haus, in dem die jungen Leute ein besseres Leben ausprobieren wollten, weitgehend ohne eigenen Besitz, frei von Rollenklischees und voller Zukunft im Herzen.
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Es war ein soziales Experiment, das sagte, wir wollen versuchen, wir wollen gemeinsam einen Hof leiten, in dem niemand etwas besitzt und der vielleicht als Modell dienen könnte für eine soziale Revolution nach dem ersten Weltkrieg.
Sprecher 2
Dass manche Wege hier auf Erden nicht zu Ende gegangen werden können – das nahmen sie in Kauf. Denn die christliche Gemeinschaft am Habertshof ging elend zu Grunde, bevor sie eine richtige Bewegung werden konnte: Misswirtschaft, Inflation, Ignoranz der Alteingesessenen – Jörg Zinks Eltern starben an Auszehrung.
Sprecher 1
Es ist erstaunlich: Den Traum der Eltern, diese Suche nach einer besseren Welt auf christlicher Grundlage, hat er jahrzehntelang weitergeträumt, und dies lange, ohne sich dieser Verbindung in die früheste Kindheit bewusst zu sein.
Sprecher 2
Sein Vater heiratet kurz vor seinem Tod noch einmal. Jörg Zink zieht mit seinen zwei Brüdern nach Ulm. Eine Heimat ist ihm die neue Familie nie geworden – aber die zweite Mutter hat ihm zu seinem Glück eines gelassen: seine Freiheit.
Sprecher 1
Über Jahre zieht er, sooft es die Schule und später die Hitlerjugend erlauben, in die Wälder auf der Schwäbischen Alb, schläft in Höhlen, redet mit Tieren und Bäumen. In den Wäldern seiner Kindheit erfährt er das erste Mal, dass die Welt mehr sein könnte als ihre Vorderseite. Dass sie tiefer ist. In seinem Leben hat Jörg Zink mehrmals visionäre Momente, auch im Krieg, und er spricht von einem lichterlohen Bewusstsein. Etwa zehnjährig trifft es ihn aus heiterem Himmel:
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Und da wurde plötzlich die ganze Landschaft glasig, die Bäume und die Berge, und da strahlte hinter der Landschaft ein Licht auf mit einer Wärme, die ich bis dahin nicht kannte. Und in dieser Erfahrung, die ich durchaus psychologisch beschreiben könnte, in dieser Erfahrung ist eigentlich mein Zutrauen entstanden, das mir vorher gefehlt hat, das Leben sei etwas, das man bestehen könnte.
Sprecher 1
Solche Erfahrungen werden später, in der zweiten Lebenshälfte seine Theologie prägen. In den vergangenen 30 Jahren beginnt er, einer Erkenntnis nachzuspüren, die er als junger Soldat in einem Brief einmal so ausgedrückt hatte: »Wenn das Christentum nicht seinen mystischen Hintergrund wiederentdeckt, dann hat es uns nichts mehr zu sagen.« Lange hatte Jörg Zink über solche Erfahrungen geschwiegen, er wusste, in der evangelischen Kirche hält man nicht viel davon. Neben anderen hat ihn schließlich seine langjährige Lektorin Hildegunde Wöller dazu gedrängt, für den heutigen Glauben Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, dass nicht nur er selbst, sondern viele Menschen solche und ähnliche Erfahrungen jenseits des Beweisbaren machen.
Sprecher 2
Es ist ein charakteristischer Gedanke Jörg Zinks, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg finden muss, auch und vor allem den eigenen religiösen. Es kommt niemals, wenn es um Gott – also ums Ganze – geht, darauf an nachzusprechen, was andere lehren; es geht nicht an, auf irgendwelche Autoritäten, Kirchenleitungen, Päpste abzuwälzen, was immer nur die eigene Aufgabe sein kann. Wir sind an einer religiösen Zeitenwende angelangt, sagt Jörg Zink. Die bisherigen Weltbilder, auch die religiösen, werden nicht überdauern. Auch nicht die überlieferten Strukturen des verfassten Christentums. Und das ist gut so, fügt er hinzu. Der Weg zur Erfahrung und zur Mystik führt bei Jörg Zink nicht ins Unnennbare, ins Nirwana, auch nicht ins kleine Glück der täglichen Mediation oder zur Suche nach der großen Erleuchtung. Sein Weg der Mystik führt zurück auf denjenigen, der dem Christentum seinen Namen gegeben hat. Denn Jesus hat selbst unmittelbar zu Gott gelebt. Radikal direkt. Geistbegabt. Und er wollte, dass Menschen sich auch so verstehen – als Gotteskinder. Mit einem direkten Draht zum Himmel.
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Die Mystik ist die Offenheit, die wir brauchen, um festhalten zu können, was uns von Gott entgegenkommt. In dem, was ich Mystik nenne, geht es mir nicht um irgendeinen Spezialweg von Heiligen oder Frommen, sondern um den Weg, den wir sowieso zu gehen haben. Mystik ist die Melodie, nach der wir unsere Schritte setzen müssen, wenn wir etwas ahnen wollen von Gott.
Sprecher 2
Im Grunde geht es Jörg Zink darum, dass Menschen Lauschende werden, und zwar in zwei Richtungen: ins eigene Herz – und in die andere Richtung, in die Welt der schon gedeuteten, erzählten Erfahrungen hinein, in die Welt der spirituellen Überlieferung. Denn das muss in der Theologie, so sagt Jörg Zink, endlich einmal ernstgenommen werden: Religionen sind geronnene, gedeutete Erfahrungen – Hinweise, keine Dogmen. Und sollte Gott ein lebendiger Gott sein, ist er auch heute noch erfahrbar – einziges Kriterium: Gotteserfahrungen führen ins Leben. Was Jörg Zink von Erfahrung und Mystik beschreibt, endet dabei nicht in mönchischer Abgeschiedenheit und Kontemplation, sondern mitten in der Welt. Wer erfahren hat, dass alles mit allem zusammenhängt, der fühlt auch den Ruf der Verantwortung.
MUSIK
Sprecher 1
Wir schauen Fotos an. Flugzeuge. U-Boote. Gefallene Kameraden. Heidi Zink als junges Mädchen. Noch vor dem Krieg lernt er sie kennen und weiß seither: die oder keine. Ihr Bild nimmt er mit in den Krieg, er geht zu den Fliegern, nach längerer Ausbildung wird er in Langstreckenjägern als Funker eingesetzt.
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Ich war begeisterter Flieger, kein Zweifel, aber kein begeisterter Soldat, das muss man unterscheiden!
Sprecher 2
Der Welt des Krieges entflieht er in die geistige Welt der abendländischen Poesie und Philosophie, ein Professor schickt ihm Bücher gegen Tabak: Hölderlin, Rilke, Goethe. Er lernt, während er auf dem Posten Flugzeuge bewachen und beobachten muss, die Zerstörer und Jäger heißen, den »Faust«, den »Hyperion«, hunderte Gedichte auswendig – und antwortet seinen unsichtbaren Kameraden ins Tagebuch. Die Erfahrungen des Krieges sind es, die ihn – den Mann der lichterlohen Erfahrungen – zu einem politischen Pfarrer machten – und zu einem, der wie kaum ein anderer eine Theologie der Bergpredigt vertreten hat.
Sprecher 1
Und eine zweite »Urerfahrung« hat Jörg Zink lebenslang geprägt und ihm in aller Deutlichkeit gezeigt, dass es keinen anderen Weg gibt für diese Welt als den Weg des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung: Ein amerikanisches Flugzeug schießt seine Maschine ab – über dem Atlantik, unweit der französischen Küste.
Sprecher 2
»Ich sah den Piloten genau«, schreibt Jörg Zink. »Es war ein dunkelhäutiger Amerikaner in einer weißen Fliegerhaube; mit einem breiten Lachen quittierte er seinen Erfolg. Kaum länger als eine Sekunde sah ich ihn sitzen, dann explodierte seine eigene Maschine unter dem Beschuss eines der Unseren. Unser Flugzeug ging in Flammen auf ...«
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
... und da hat unsere Maschine aus allen Knopflöchern gebrannt und schlug unter Wasser, und ich wusste, aus diesem Feuer kommst du nicht mehr raus. Und als ich zwanzig Meter unter Wasser ausstieg, war mir klar, da kommst du nicht mehr raus. Und als ich dann mehrere Stunden auf den Wellen trieb, Windstärke acht, da wusste ich, hier findet dich keiner – bis wir nach einigen Stunden gefunden wurden, zufällig.
Sprecher 2
»Was mir blitzartig klar war«, schreibt er weiter, »war dies: Du glaubst, für irgendetwas Gutes gegen irgendetwas Böses zu kämpfen. Das gibt deinen Bemühungen Sinn und Recht. Irrtum! Das Böse und das Gute verteilen sich gleichmäßig, wo immer Menschen am Werk sind. Es ist alles in dir selbst. Die dunkle Ikone des Menschengesichts in der weißen Fliegerhaube blieb mir eingebrannt. Sie blieb der dunkle Kern einer neuen Sicht der Welt. Als ich später davon hörte, wir erkennten Gott in den Gesichtern der Menschen, da begann ich sofort zu ahnen, ich hätte im Grunde hier zum ersten Mal das Gesicht Gottes gesehen.«
Sprecher 1
Jörg Zink, der politische christliche Denker: Er war mit dabei, als sich Anfang der 1950er Jahre der Widerstand gegen die geplante Wiederbewaffnung Deutschlands formierte. Er hat die Friedensbewegung von ihren Anfängen an mitbegleitet und später, in ihrer zweiten großen Welle, in der Nachrüstungsdiskussion um die Pershing-II-Raketen, mitgeprägt. Als sich 1980 die Grünen als Partei gründeten, war er Gründungsmitglied. Das alles hat ihm viel Ärger eingebracht und auch viel Sympathie.
Sprecher 2
Die Aufgabe nach den – auch christlichen – Irrläufen des Zweiten Weltkriegs war gestellt: Hat Jesus nicht ganz anderes gelehrt als das, was die Kirchen daraus gemacht haben? Jörg Zink beginnt ganz neu, nach dem Nazarener zu fragen. Die Antworten, die er gefunden hat, waren zur Zeit ihrer Veröffentlichung neu, ungewohnt, herausfordernd. Der Grundtenor ist uns heute geläufig und viele haben sich ihm angeschlossen: Jesus ja – Kirche nein. Jörg Zink sagt: Auch wenn wir uns heute, nach der aufgeklärten historisch-kritischen Bibellese nicht mehr an einzelne Worte oder gar Gesetze halten können, so können wir doch Grundbewegungen Jesu ausmachen, Grundbewegungen, die uns fordern und die die Kirchen über Jahrhunderte ins Gegenteil verkehrt oder mindestens ignoriert haben. Was Jesus gelebt und gezeigt hat, läuft nach Jörg Zink darauf hinaus: absteigen und weit werden. Jörg Zink ergänzt das alte Augustinus-Wort »Liebe und tu was du willst« um etwas Entscheidendes, um eine Bewegung nach unten: Steige ab, weite dich – liebe und handle danach. Er sagt: Jesus sieht den Menschen nicht als Sünder. Jesus denkt radikal von einer offeneren, besseren, heiligeren Zukunft her, die er Reich Gottes nennt und die dann schon ein wenig Gegenwart wird, wenn Menschen anders, größer, weiter werden. Wir sollen nicht klein denken von uns, sondern größer. Gott hat Größeres mit uns vor: Menschen des Friedens und des Lebens zu werden.
Sprecher 1
Als Jörg Zink 1961 der Fernsehbeauftragte der Württembergischen Landeskirche wird, ahnt er noch nicht, wie sehr sich sein theologisches Denken künftig in der Öffentlichkeit abspielen wird. Jörg Zink der Mystiker, Jörg Zink der politische Theologe, Jörg Zink der Pfarrer in der Öffentlichkeit. Dort hat er die Entwicklung der damals neuen Medien mitbegleitet und auch mitgestaltet. Noch ein roter Faden, den er in seinem Leben entdeckt hat:
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Der rote Faden durch mein Leben war eigentlich der, dass ich an vielen Stellen Anfänge ausprobieren konnte. Als ich mit dem Fernsehen anfing, hatte der Süddeutsche Rundfunk als Haus für das Fernsehen eine kleine Baracke. Und so war‘s auf vielen Gebieten, etwa mit der Schallplatte, mit dem Lichtbild, und darüber bin ich sehr glücklich.
Sprecher 2
Das »Wort zum Sonntag«, das er über hundert Mal gesprochen hat, macht ihn schnell bekannt, zudem er in den politisch bewegten Zeiten vielfach Stellung bezieht: Zur Ermordung von Hanns Martin Schleyer, zur Entführung der Lufthansamaschine Landshut. Es gelingt ihm, Worte zu finden, für die man ihm sowohl in der Bundesregierung als auch in der Medienwelt mehr als dankbar ist. Andere Male bekommt er zu spüren, wie wenig im Fall des Falles die Redefreiheit im Lande gilt: Die katholische Kirche will ihn mundtot machen, als er beim Papstbesuch Johannes Paul II. entgegenhält, ihm gefalle die Bezeichnung »Heiliger Vater« nicht, er begrüße ihn lieber als »Bruder in Christo«. Die Politik schafft es, Druck auf den Sender zu machen, als er zu Zeiten, in denen die Öko-Bewegung sich gerade organisiert, sehr deutliche Worte zum Zustand der Natur findet. – Neben der Tätigkeit zum Wort zum Sonntag dreht er viele Filme, macht Dokumentar- und Spielfilme über die Länder der Bibel und schreibt für religiös Interessierte, die nicht zwingend etwas mit der Kirche verbindet.
Sprecher 1
Als Anfang der 1980er Jahre die Friedensbewegung, unter anderem von den Kirchentagen aus, ihren Höhepunkt erreicht, ist Jörg Zink mit unter den Demonstrierenden, entwickelt Übungen, gewaltfrei auf Gewalt zu reagieren, hält Seminare, steht am Raketentor von Mutlangen – und hat mit seinen Gedanken großen Einfluss auf das Leben der Kirchengemeinden, deren politische Gebete, Jugendgottesdienste und Diskussionen. Es hat Jörg Zink stets gewundert, wie wenige damals – mit dem Szenario eines Atomkriegs vor Augen – mitgemacht haben. Und wie wenig deutlich sich damals die Kirchen für das Leben und gegen den Krieg starkgemacht haben. Heute erinnert er sich:
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Die Kirche war in Fragen des Friedens immer gespalten. Sie hat einerseits immer für Frieden plädiert und das Wort Frieden in Gebrauch genommen. Sie hat Forderungen aufgestellt. Andererseits hat sie uns Pfarrer, wenn es um den Frieden ging, zum Stillschweigen verpflichten wollen. Wenn wir also von der Pflicht zum Frieden reden, dann ist das eine Aufgabe, die eine weltliche Kraft von uns verlangt. Nicht eine geistliche. Ich habe mich dann aus dem Dienst der Württembergischen Landeskirche beurlauben lassen, um mir die Möglichkeit zu bewahren, vom Frieden zu reden. Und das ist auch anerkannt worden. Da wurde man zum Beispiel sehr angegriffen, wenn man eine Rede für den Frieden hielt und dabei den Talar trug – das durfte nicht sein. Die Kirche ist viel zu vielen verschiedenen Menschen verpflichtet, mit ihnen übereinzustimmen, und das will sie nicht in Gefahr bringen. Genau das aber ist das Unglück. Das ist ein Teil ihrer mangelnden Glaubwürdigkeit.
MUSIK
Sprecher 1
60 Jahre war er auf dem Evangelischen Kirchentag zu finden, beinahe 40 Jahre davon hat er Bibelarbeiten gehalten oder, gemeinsam mit dem Flötisten Hans-Jürgen Hufeisen, Feierabendmahle und musikalische Feste gestaltet.
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Kirchentag - das ist das große Spiel- und Experimentierfeld der Kirche, das ich voll bejaht habe. Das ist das Beste, was sie zu bieten hat. Dort war das Wort völlig frei, dort durfte jeder genau das sagen, was er dachte, das ist eine Laienbewegung. Zugleich wollte ich, dass der Kirchentag sich dort am deutlichsten ausspricht, wo es um die Bibel geht, dass er diese Basis nie verliert, denn das ist die Gefahr von jeder Art Laienbewegung.
Sprecher 2
Auf Kirchen- und Katholikentagen hat er mit tausenden von Menschen Abendmahlsfeiern gestaltet, offen für alle und ökumenisch. Mit Hans Küng hat er auf dem Münchner Katholikentag 1984 demonstrativ ein gemeinsames Abendmahl gestaltet, natürlich gegen den Willen des katholischen Gastgeberbischofs.
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Anschließend kamen sie dann zu mir: Das war ein Verbrechen, das Sie begangen haben! (Lacht.) Das war sehr wichtig, das Ganze, das war wunderbar.
Sprecher 1
Das war für Jörg Zink immer klar: Jeder muss seinen Weg selbst gehen – in Richtung Ökumene oder einer weltweiten Allianz der Religionen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Man darf nicht auf irgendwelche Kirchenleitungen warten, die für die Ewigkeit denken und planen. Er selbst hat es vorgemacht, im Großen wie auch im Kleinen. In der Nähe des Wohnhauses der Zinks gab es Schulen für körperlich und geistig behinderte Kinder, die Anfang der 1970er Jahre weder Geld noch Konzepte vorweisen konnten, über das Normalmaß hinaus Therapien, etwa Reittherapien, anzubieten. Das war der Impuls für die Gründung der Jugendfarm Haldenwiese. Ein paar Familien, unter anderem die Zinks, taten sich zusammen, gründeten einen Verein, pachteten ein etwa einen Hektar großes Grundstück und eröffneten 1972 die Jugendfarm. Dort schufteten über Monate viele Väter und Mütter, um einen Reitstall, eine Reithalle und eine Koppel aufzubauen. Vormittags kamen die behinderten Kinder aus den Schulen zur Reittherapie, nachmittags zeitweise mehrere hundert Kinder aus der Stadt und pflegten Tiere und Farmgelände.
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Wir haben zum Beispiel bestimmte verhaltensgestörte Kinder auf therapeutische Weise dadurch kuriert, dass wir ihnen kranke Tiere anvertraut haben, dann waren sie nicht mehr der Patient, sondern der Arzt, und konnten auf diese Weise ihre ganzen Probleme abarbeiten. Wir hatten damals zehn Pferde – ich bedaure unendlich, dass ich keine Konsequenzen daraus gezogen habe und diese Erfahrungen niederschrieb – aber wir waren damals froh, überhaupt alles zu schaffen.
MUSIK
Sprecher 1
Noch einmal, zum 90. Geburtstag, frage ich ihn nach dem roten Faden. Wieder überlegt er lange:
Jörg Zink (Tonaufzeichnung)
Der rote Faden kann eigentlich nur bestehen in den verschiedenen Weisen, wie ich Gott erkenne. Er kann nur in den verschiedenen Einsichten bestehen, die mir im Lauf meines Lebens den Weg zeigten.