Nachruf von Pfarrer i.R. Hartmut Walsdorff
im Dank- und Trauergottesdienst für Jörg Zink
auf dem Stuttgarter Waldfriedhof am 26. September 2016
... Wo anfangen, wo aufhören, wenn ich an Jörg Zink denke, meinen guten väterlichen Freund, mein geistliches Vorbild, meinen theologischen Mentor? Es dürfte in den letzten über vierzig Jahren kaum eine Woche vergangen sein, in der ich nicht mit irgendeiner Facette aus Jörgs unerschöpflichem Gedankenfüllhorn in Berührung kam. Vor allem aber durfte ich mit ihm selbst in Berührung kommen, und es bleibt eins der größten Geschenke für mein Leben, dass Jörg mich zu seinem und mit dir, liebe Heidi, zu eurer ganzen Familie Freund gemacht hat.
Angefangen hat ja alles mit der bangen Anfrage des damaligen Anfängers im Pfarramt, ob der hochgeschätzte und überall in Stadt und Land bekannte Jörg Zink wohl zu einem Vortrag nach Berlin in sein schwieriges Neuköllner Milieu kommen würde, auch wenn ich ihm kein Honorar zahlen könne. Nie vergesse ich seine schwäbisch gefärbte Stimme, als er anrief und freundlich aber knapp sagte: »Ist recht, ich komme, und ums Honorar machen Sie sich mal keine Sorgen.«
Oder dann, als er mich später zu meinem ersten »Wort zum Sonntag« ins Fernsehstudio begleitete, sich einfach neben die Kamera setzte und sagte: »Hartmut, sprich jetzt nicht zu Millionen, sondern rede mit mir.« Das wollte er. Zwiesprache war ihm wichtig. So habe ich, so haben Zehntausende ihn bei Kirchentagen oder Millionen im Fernsehen erlebt: als einen, der mit jedem Einzelnen spricht, der mir persönlich den christlichen Glauben in unsere Zeit vermitteln will. Mit aufrechten Worten, aber ohne jede Rechthaberei. Oder ich denke auch an jenen mit 39 Grad heißesten Augusttag des Jahres 1992, als wir gemeinsam in Berlin festlich Gottesdienst feierten. Da knöpfte Jörg doch mitten in der Predigt seelenruhig seinen Talar auf, legte ihn beiseite und erklärte, wieder freundlich aber denkbar knapp: »Alles hat seine Grenzen.«
Als Jörg mich viele Jahre später bat, ihm die Predigt zu seinem 80. Geburtstag zu halten, und dann ihr beide, liebe Heidi, zu eurem Fest der Goldenen Hochzeit, da war ich nur noch mäßig erschrocken. Er hätte ohne Mühe mehrere Bischöfe bitten können. Aber Jörg wollte selbst nie mehr sein als ein Pfarrer. Freilich ein brauchbarer, ein glaubwürdiger. Der frei ist und niemanden fürchten muss, auch keine Kirchenleitung, wie er es auch mir einst nachdrücklich empfohlen hat. Gemeindeseelsorger wollte er sein, nur eben, wie er sich ausdrückte, mit einer etwas anderen, weit gestreuten und lesenden Gemeinde. Seine Ernennung jenseits der 90 zum Professor ehrenhalber freute ihn gewiss noch, aber er war sich da zugleich schon sicher, im Himmel werden Titel nichts zählen.
Erst im Lauf der Jahre habe ich kapiert und gespürt, dass auch ein so außergewöhnlich vielfältig profilierter, kreativer und produktiver Mensch wie Jörg Zink, einer, der gewohnt ist, zu Menschenmengen zu sprechen und für Unzählige zu schreiben und da zu sein, zugleich selbst ein paar vertrauter Menschen bedarf, mit denen er frei reden oder schweigen und ganz frei und ungeschützt in Dialog treten darf.
Das warst natürlich zuallererst du, liebe, von ihm so geliebte und ihn so liebende, fürsorglich getreue Heidi, stets an seiner Seite auch als sein wichtigstes Gesprächsgegenüber auf eurem ja nun annähernd lebenslangen gemeinsamen Weg. Was für eine beglückende Ehe! Und das wart ihr alle, seine vier geliebten Kinder. Von euren recht unterschiedlichen Lebensentwürfen sprach Jörg mir gegenüber immer mit ganz viel Respekt, mit Dankbarkeit – und mit großer Liebe, jener großen Liebe, die dann ganz und gar unvermindert auch euch, seinen vier inzwischen erwachsenen Enkeln galt.
In unserem letzten bei klaren Sinnen geführten Gespräch hat Jörg als sein wichtigstes Anliegen formuliert, dass wir unseren Kindern eine Enkel-taugliche Welt dalassen. Eine mit mehr Gerechtigkeit zwischen den Völkern, mit mehr barmherziger Verantwortung gegenüber den gewaltigen Flüchtlingsströmen, eine Welt mit Frieden zwischen den Religionen und erst recht zwischen den christlichen Konfessionen. Und, bezeichnend für Jörg Zink, das Gespräch mit Menschen jeder Art von Bekenntnis. Und dass die Kirchen im Stimmengewirr der Welt bescheiden auftreten – klar, aber bescheiden.
»Fürchte dich nicht!« Diese Bitte, Mahnung, Einladung und biblische Verheißung durchweht mit dynamischer Steigerung im Alter alles, was Jörg Zink am christlichen Glauben wichtig war. Als er mir sein letztes Buchmanuskript zum Lesen gab, war ich erschüttert darüber, wie ungeschminkt klar und zugleich völlig angstfrei Jörg den sich ja auch für ihn ständig verengenden Lebensraum ausmalen konnte – bis hin zum Sterbebett. »Deine Wege werden kürzer« – so der Titel, doch nur der halbe Titel. Denn weil das so für diesen mit tiefstem Gottvertrauen Gesegneten nicht alles sein kann, vervollständigt er den Titel um das Wichtigste: »Deine Wege werden kürzer – fürchte dich nicht!«
So endet des letzte Kapitel im letzten Buch seines irdischen Lebens mit dem Hinweis auf den Abschied Jesu von seinen Jüngern, denen er seinen Geist und seinen Frieden hinterlässt, indem er sie mit den Worten segnet: »Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.« Und was macht Jörg Zink? Da fügt er in seinem letzten Buch auf der letzten Seite als sein letztes Wort dem Zuspruch Jesu seine in fast 94 Jahren gereifte Glaubensgewissheit an: »Nein, ich muss mich nicht fürchten – wirklich nicht.«
Darin bleibt Jörg Zink nun uns allen voraus und am Ziel. Und mir bleibt der geliebte Freund, ein wahrhaft leuchtendes Vorbild. Ihm – und Gott – sei Dank!